Die Stirnwand als zentraler Blickpunkt des Lokals schildert Szenen aus dem anderen Teil Deutschlands, der DDR. Sie ist von dem Ostberliner Künstler Wolf Leo gestaltet worden. Die Darstellung des DDR‑Alltags wollten die Betreiber der StäV ganz bewusst jemandem überlassen, der dort seine Biographie gelebt hat. Dasselbe gilt für folgende Interpretation der Kunst Wolf Leos durch die Ostberlinerin Beate Lemcke:
" Eine meiner Vorwende-Erinnerungen, denen sich zwiespältige Gefühle zugesellen, siedelt im letzten Jahrfünft des Arbeiter‑und‑Bauern‑Staates. Als ich, Zeitungsredakteurin, mich am bloßen Scherz erfreuend, den Kalauer ‚Vom Käse lernen heißt stinken lernen' als Überschrift für eine Kabarettkritik durchgehen lassen wollte, wurde ich zur Chefredakteurin zitiert.
Der Urtext, den ich da so zu beschmutzen drohte -‚Von der Sowjetunion lernen...'- war mir indes vor lauter Lachen noch gar nicht in den Sinn gekommen... Zugegebenermaßen erschien mir das heute so skurril wie belanglos, wäre da nicht immer noch dieses ungute Gefühl . . . .
Wie soll jemand, der nicht in diesem Staat aufwuchs und lebte nachvollziehen können, was solcher Episode innnewohnt ? Oder anderen Geschichten. Sie zu erzählen, scheint die beste Art, etwas zu erfahren und Neugier darauf zu wecken, das Leben im jeweils anderen Deutschland kennenzulernen.
Der Arbeit "privat - uniform" des Künstlers Wolf Leo (Jahrgang 1942) für die "Ständige Vertretung" liegt eine kommunikative Intention zu zugrunde. "Wenn man ins deutsch der deutsche Gespräch kommen will, dann am besten individuell, „ganz privat", ist seine Erfahrung. So entstand die Idee zur Installation in einem Fenster aus dem alten Bonner Wasserwerk. Für die Collage wählte Leo Bilder aus seinem Familienalbum und Pressefotos aus, deren Schwarz-Weiß-Ansicht im wörtlichen wie im übertragenen Sinne besonders deutlich und bezeichnend für das Leben in der DDR ist. Leo kopierte sie auf selbstklebende Folie und fügte sie in das Fenstermosaik. Eine gelbe und eine rote Leuchtröhre dahinter schaffen Raum und bringen die Transparenz zur Geltung. "Denn es war ja bloß für die Leute von außen undurchsichtig. Uns kam es zwar eindimensional platt, aber durchschaubar daher."
Im Zentrum zwischen Hauptfenster und Oberlicht teilt das DDR-Staatsemblem sich ein Rund mit dem Symbol der Friedens‑ und oppositionellen Bewegung in der DDR. Leo setzt Motive gegeneinander, veranschaulicht die zwei Seiten einer Medaille. Es gab immer beides: Konformismus und Opposition, Enge und Lebensfreude, Angst und Auflehnung, die triste, graue, doktrinäre DDR und kulturelles wie soziales Engagement.
In den gestalteten Fensterfeldern leben Widersprüche auf und brechen das Schwarz-Weiß-Denken. Indem er Geschichte erzählt, bezieht Leo den Betrachter in seine Heimatkunde ein. Ganz privat fängt es unten rechts an mit Familienfotos, unterlegt von einem Schnittmusterbogen. Die Schablonen geben klare Anweisungen, zeichnen Linien vor, so wie der Staat und die gesellschaftlichen Verhältnisse prägen. Dem steht die individuelle Lebensplanung gegenüber. Freizeitspaß triumphiert beim Tanz oder im Freibad Pankow, mit Gaststättenkultur und in Museen. Die Serie der Kinobesuche im westlichen Berlin reißt abrupt ab, als der Mauerbau Zoopalast & Co unerreichbar werden läßt. Aus dem privaten Fundus zeigt Leo Babyfotos, Wehrpaß, geklebte Gewerkschaftsmarken. Das gesellschaftliche Großeganze dominiert das Leben mehr und mehr. Leo lenkt den Blick auf Anfänge des Uniformen. Mit musizierenden Jungpionieren vor einem Werner‑Seelenbinder-Bild, der Stalin-Allee als eine der ersten Uniformen - noch liebevoll nach Zuckerbäckerart garniert gefolgt vom eintönig genormten Plattenbau in Marzahn der Achtziger. Ein Fakkelzug wirft sein Licht auf die Verführbarkeit von Menschen, einem NVA-Foto ist Prag 1968 zugesellt. Der legendäre Kleine Trompeter, bekannt durch das anrührende Lied, wird gekontert vom DDR‑Grenzer mit seinem Wachhund. Links oben kräuselt sich der Spitzhart von der Ulbricht-Briefmarke, gegenüber äugt Amtsnachfolger Honecker.
Selbstredend kannte auch der DDR-Alltag ein unbeschwertes, selbstbewußtes Dasein, Dinge, mit denen man zufrieden sein, manches, auf das man sogar stolz sein konnte, anderes wurde vertraute Notwendigkeit. Nicht nur der Trabantfahrer mußte sich stets zu helfen wissen... Der Künstler Reinhard Zabka präsentiert seine Aktion: Mein Welt‑Bild im Karton. "Man konnte sich entzieh'n und privat sein, in einer Nische. Auch wenn die Stasi versuchte, privat nicht zuzulassen", sagt Leo. Privat sei in einer Diktatur eine Notwendigkeit.
In seinen Installationen erinnert der Künstler mit einem Bonbon, aufgebahrt in einem Schrein, an das deutschdeutsche Ereignis der legendären ZückerliÜbergabe von Güstrow, tischt die Mär auf von den bewahrten 89 Zentimetern des heißen Drahtes, verstört mit Transparenten und präsentiert Fundstücke vom sowjetischen Munitionsdepot in Karlshorst mit ihrer fatalen Ästhetik. Im Angesicht des Scheiterns von Wettbewerben zu großen Denkmalsentwürfen für Berlin an der Unmöglichkeit, die vielschichtigen politischen Themen künstlerisch zu fassen, sind diese persönlichen, diskussionanregenden Arbeiten von Wolf Leo ein erfrischender Ertrag." (Beate Lemcke)